am Sonntag, den 19. Juli 09. 17.04 – 18.00
Autorin: Gesine Strempel
Redaktion: Magdalena Kemper
Die
Theaterregisserin und Autorin, deren Stücke inzwischen
weltweit gespielt werden, hat nun mit UmdeinLeben ihren
ersten Kinofilm gemacht. Was dabei herausgekommen ist,
erfahren Sie von Gesine Strempel
Autorin: Ein verstörender Film ist es geworden, der
gleichzeitig fasziniert und zum Lachen reizt, weil manche
Situationen so komisch und alltäglich sind. Sechs Frauen
treten auf wie im Theater, erzählen ihr Leben, und ihre
Worte und Gesten brennen sich in die Seele ein, wenn man
nicht nach den ersten 5 Minuten das Kino verlässt, weil
hier keine gewohnte Erzählstruktur geliefert wird.
UmdeinLeben – der Titel deutet es an, hier rennen
Frauen um ihr Leben oder machen eine Kurve drum herum,
vielleicht wollen sie es auch abstreifen wie eine Haut. Die
Frauen, die Gesine Danckwart zu Wort kommen lässt, sind
zwischen dreißig und fünfzig, bis auf eine, die ist ein
Jahrzehnt älter. Sie stehen mit den Füßen auf der Erde und
mit dem Kopf stoßen sie an eine unsichtbare Decke. Und sie
reden sich in ihren Monologen um Kopf und Kragen. Wir
erfahren beklemmende Einzelschicksale, zum Überdruß gesehen
in unappetitlichen Nachmittagstalkshows des Fernsehens.
Aber der Film UmdeinLeben – geschrieben in einem Wort
mit einem großen L für Leben- persifliert diese Talkshows
und hakt dann da nach, wo das Nachmittagsfernsehen nie
hinkommt. Wir sehen diese Frauen – alle sechs sind
ausgezeichnete Schauspielerinnen – deren Monologe
uns, je länger sie reden, immer vertrauter vorkommen. Denn
sie formulieren weibliche Sehnsüchte, Ängste und
Hoffnungen, die alle nicht funktioniert haben. Dornröschens
Apfel ist vergiftet. Was ist das für ein Gift? Jede sucht
die Antwort auf diese Frage, nach der allerbesten, der
einzig möglichen Lösung, die den Schlüssel zum ewigen Glück
liefern soll.
Interessant, dass Gesine Dankwart diesen Film in einer Zeit
macht, in der vom neuen Feminismus der Alphamädchen die
Rede ist. Dass sie sich auf Frauen konzentriert, die nicht
mehr weiter wissen.
Maren Kroyman, die eine Frau im gewissen Alter spielt, sie
ist reifer als die anderen, ruhiger, voller Charme, der ihr
offenbar nichts mehr nützt beim Aufrechterhalten der
Träume, sagt zunächst abgeklärt, das Leben ist so schön,
wie man es sich glaubt, hier und anderswo. Doch dann
verlässt sie die Rolle der Dame mit Lebenserfahrung –
vielleicht nutzt sie sie aber endlich. Sie geht soweit sie
kann, als sie zum Megaphon greift und der Gesellschaft, die
ihr den Zutritt verweigert, denn –zu den angesagten
Events erhält sie schon lange keine Einladungen mehr, ihre
Verachtung per Lautsprecher mitteilt. Und die Herren der
Gesellschaft hören ihr interessiert zu, wie im Theater:
"Was ist das hier für eine Scheißveranstaltung. Ich heiße Faria Kühne, und ich finde euch alle so kacke. Eure diskreten Kostümchen. Positive Farben. Positives Denken. Vielen Dank für den Rückruf. Vielen Dank. Ihr seid so kacke. Feng Shui Kacke. Zum Kotzen. Gersprächsvotzen. Kommunikationziegen. Wichser." (endet mit Musik, Maren Kroymann)
Autorin: Eine der Frauen, dargestellt von der Schauspielerin, Boxerin und laut google SM-Studio Betreiberin Esther Röhrborn, kann sich Nähe zwischen Frau und Mann nur als Ringkampf vorstellen, in Sportkleidung. Ich bin trainiert, innen und außen, verkündet sie, und gewinne meistens. Fast meistens. Wenn sie, in Gesellschaft einer ihrer Ringkämpfer auf dem Hotelbett sitzend, mit den Zähnen eine kleine Tüte aufreißt, ist kein Kondom drin sondern ein Gummibärchen, das sie sich in den Mund steckt.
Die Freiberuflerin, gespielt von Anne Ratte-Polle, die in ihrer Plattenbauwohnung am Telefon auf einen Auftrag wartet, geht buchstäblich die Wände hoch, die Politikerin redet ins Leere, alle Mikrofone sind abgeschaltet.
Gesine Danckwart hat einen Abenteuerfilm gedreht, in dem Frauen ganz reale Grenzerfahrungen machen, weil sie unerwartet bei den eigenen Grenzen angekommen sind. Gefahr viel zu spät erkannt, also nicht gebannt. Sie agieren auf unbekanntem Terrain, das noch nicht kartographiert ist. Sie sind wütend, sie sind einsam, sie gruseln sich, und sie sind verloren, weil sie keinen Kompass mehr haben. Wenn die Träume falsch sind, nützt auch kein Kompass. Sechs Frauen, sechs Schönheiten, sechs Monologe. Gesine Danckwart hält uns, den Frauen, einen Spiegel vor. Und weil sie das so klug und voller Humor macht, larmoyant ist sie nie, auch wenn es zum Heulen ist, bleiben die Frauen und ihre Geschichten, ihre ausholenden Gesten, ihr Stolpern und Stürzen und ihr Trotz im Gedächtnis. Und die Bilder der Stadt, die Brücken, die nirgendwohin führen, die rostigen Gleise, die frostige Weihnachtsbeleuchtung der Großstadt, die schummrige Kneipe mit den einsamen Männern. Offenbar ist es Zeit für Frauen, sich wieder zusammenschließen, wie die Mütter vor wenigen Jahrzehnten. Wirklich, ein erstaunlicher Film.
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